Die Menschen erkennen und besser verstehen – wie geht das?

Handschrift und Graphologie auch Schriftpsychologie genannt, sind da ausgezeichnete Methoden um einen Menschen besser kennen zu lernen. Und jeder ist auf diesem Gebiet etwas erfahren, das habe ich immer wieder in meiner Berufsschule erlebt.

Einige Kollegen wissen, dass ich „Fachfrau für die Schrift“ bin, und bieten ihren Klassen im Rahmen des Deutsch- oder Religionsunterrichts an, ein bis zwei Stunden etwas über Graphologie hören zu können. Gerne komme ich diesem Wunsch nach. 

Ich zeige mit der Dokumentenkamera ca. 10 verschieden Schriften aus meinen Beständen und frage: Mann oder Frau? Wie alt? Wie könnte die Person sein? Streng? Friedlich? 

Und die Mehrzahl der Schüler trifft richtig!

Dann frage ich, „woran seht ihr denn das?“ Und die Antworten sind vorwiegend wieder richtig! Männer schreiben eher kantig-eckig, Frauen vorwiegend etwas größer und rund, Schriften von Älteren sind eher weniger schwungvoll…

Ohne viel Hintergrundwissen, einfach aus der Anschauung und Lebenserfahrung heraus sind die Jugendlichen bereit, Dinge auszusprechen und für absolut passend zu halten, die viele eher „kopfgesteuerte“ Zeitgenossen für abwegig oder für Unsinn halten.

Ich teile unlinierte Blätter aus und bitte die Schüler, spontan einen Text zu schreiben mit Anrede, „Hallo, Frau Rehm“ oder „Guten Tag, Frau Rehm“, vier, fünf Zeilen, „irgendwas“ und ihre echte Unterschrift. 

Mit wenigen, einfach zu erkennenden Schriftmerkmalen, fahre ich fort. „Wer schreibt vorwiegend aufrechte Buchstaben? Wer mehr rechtsschräg oder linksschräg? Und wessen Schrift schwankt zwischen so… und so?“ Sie schauen ihre eigene Schrift an, die der Nachbarn und legen sich dann fest. 

Anschließend spreche ich kurz und knapp über die Grundbedeutung dieser drei Schriftlagen und frage die Schüler, meist junge Männer um die 18 Jahre, ob sie sich da wiedererkennen. Die meisten nicken sichtlich beeindruckt. Wenn sich Schüler unsicher sind bei der Entscheidung zur Schriftlage, zeige ich die Schrift mit der Kamera und wir entscheiden gemeinsam, was wir sehen und, was das bedeuten könnte. So fahre ich mit einigen weiteren Merkmalen wie „winkelig“ oder eher „rund“ und „Blattaufteilung“ fort und schließe mit der Unterschrift und ihren Besonderheiten. 

Stets biete ich an, einige der Schriften  mitzunehmen und in der nächsten Woche einzeln oder zu zweit – Freunde machen das schon mal gerne – innerhalb von je 10 Minuten außerhalb des Unterrichts zu besprechen. Und jedes Mal melden sich welche, die das wünschen. Noch nie hatte ich ausgesprochene Skepsis erlebt, alles läuft respektvoll, geordnet und aufmerksam ab.

Mit solch einem max. 90-minütigen „Auftritt“ kann ich gut zeigen, dass die Handschrift wesentliche Eigenschaften der schreibenden Person wiedergibt und sie untrennbar zu dieser Person gehört. Niemand fühlt sich verurteilt, alle fühlen sich in ihrer Individualität erkannt und bestätigt. Mir liegt sehr daran, dass Handschrift als etwas Bedeutsames gesehen wird, und viele wissen anschließend, dass es die Schriftpsychologie gibt und sie „Wahres“ vom Schrifturheber erkennen lässt.

Nach solchen zeitlich eher begrenzten Vorstellungen der Graphologie, die ich immer wieder in Volkshochschulen, Vereinen und anderen Orten anbiete, habe ich nie den Eindruck, dass ich missverstanden werde, oder gar jemand den Raum verlässt wegen dieses „Hokuspokus“. Klar ist allen, dass es lediglich ein Einblick war, niemand wird anschließend behaupten, er sei nun Graphologe. 

Wenn ich nun ein Buch schreibe über Graphologie und viele Details gut erkläre, taucht diese Sorge durchaus auf. Ja, ich habe viele positive Rückmeldungen auf schriftliche Gutachten, die ich sehr sorgfältig erarbeite und einfühlsam formuliere. Doch kann ich nie wissen, wie meine Worte den Empfänger berühren und auch verletzen können. Nicht jeder reagiert auf mein nach einigen Wochen versendetes Angebot zu einem Telefongespräch. 

Viele meiner Kollegen und auch ich, haben die Sorge, dass Halbwissen sorglos angewendet viel Schaden anrichten kann – für den beurteilten Menschen und für den Ruf der Graphologen mit ihren großartigen Möglichkeiten.

Wie schon Gesagt: ein praktizierender Graphologe benötigt Respekt, Wissen und viel Erfahrung.

Er ist wie ein erfahrener Arzt, der mit Achtung, Wissen und einem Gespür für sein Gegenüber seine Erkenntnisse so vermittelt, dass der Patient versteht und zuversichtlich die weiteren Schritte geht.

Der Mensch und seine Schrift entwickeln sich von der Kindheit bis zum letzten Tag. Man verändert sich, wird jedoch kein Anderer: so, wie sich Hände, Gesicht und Haar auch wandeln im Laufe der Jahre. Die Schrift zeigt dem Kundigen viele Facetten des Wesens: wie z.B. Temperament, Ausdauer, Kommunikationsformen , Selbstgefühl. Die Schrift des sensiblen und unsicheren Jugendlichen wandelt sich z.B. in die Schrift eines ruhigen, stabilen jungen Menschen. 

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